Weihnachtspredigt für den Tag danach
Wieder allein
Lukas 2, 39+40
Als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret. Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit und Gottes Gnade war bei ihm.
Liebe Gemeinde,
so also geht die Geschichte weiter. Sie kehrten wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret. Wohin auch sonst. Schon am nächsten Morgen ging alles wieder seinen normalen Gang: Die Hirten sind wieder zu ihren Schafen zurückgekehrt, die Weisen sind auf dem Rückweg ins Morgenland und all die vielen Menschen, die in der letzten Nacht hier im Stall und vor dem Stall waren, sind wieder nach Hause gegangen.
"Ob sie wohl wiederkommen oder ob das alles nur für eine Nacht war?" sprach Josef an Morgen danach zu Maria. Es war ihm alles erschienen wie ein Traum, und er wußte noch nicht so recht was er davon halten sollte.
Schön war's gewesen. Er hatte nie zuvor inn seinem Leben eine solche Freude gespürt, wie in dieser Nacht, der Nacht der Geburt des Kindes. Er fühlte sich als wär auch er in dieser Nacht neu geboren worden.
Nach aller Not, Sorge und Verzweiflung der letzten Zeit hatten sie auf wunderbare Weise erfahren: Gott rettet, Gott hilft. Deswegen sollte das Kind auch so heißen: Gotthilf. In ihrer Muttersprache: Jesus.
Wo die Nacht am dunkelsten war und sie vor Verzweiflung nicht mehr wußten wohin, war das Kind geboren worden. Mit seiner Geburt kam zugleich ein neues Licht in ihre dunkle Welt. Und vor allen Dingen kamen dann Menschen in Scharen. Zunächst die Hirten, dann irgendwelche Reisende, Könige aus dem fernen Morgenland und dann fast alle Kinder von Bethlehem und der halbe Ort, sofern die Leute nicht selbst auf Reisen in ihre jeweiligen Heimatstädte waren. Der Engel Gabriel war dagewesen, der große Himmelsgeist und all die vielen kleinen Engelein aus dem höheren Chor. Die Posaunen und Hörner hatten von oben herab geblasen als wär's der jüngste Tag und das himmlische Jerusalem käme vom Himmel zur Erde. Dort wo jetzt die Krippe stand, war der Thronsessel gewesen. Ein neuer Stern war am Himmel aufgegangen und hatte den Stall in ein helles Licht getaucht. Alle hatten fröhlich gesungen, Lichter entzündet und ihr Kind als den Herrn der Welt angebetet.
Doch nun saß Josef da, reb sich die Augen und überlegte, ob alles, was sich letzte Nacht zugetragen hatte, überhaupt wahr sei.
Denn nun war's morgen, und sie waren wieder alle weg. Nur der Stall war noch da, und der Wind pfiff durch die Ritzen. In einer Ecke stand noch der alte Esel, und vor dem Stall lagen die Straßen und Gassen von Bethlehem.
Ein paar Leute waren dort zu sehen, die in der Frühe schon zusammenstanden. Zum großen Teil waren es wohl die gleichen wie alle Tage. Und in der Krippe weinte das Kind. Maria nahm es heraus und stillte es. Josef legte eine Decke um Mutter und Kind gegen die Kälte, die durch die Ritzen kroch. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund und vermischte sich mit dem Geklirr von Schwertern und Speeren der römischen Patrouille. Die rauhe Wirklichkeit hatte sie eingeholt.
„Maria", sprach Josef, „waren sie wirklich da?" „Wer soll dagewesen sein?" "Na, die Hirten und die Könige und die Engel und der Stern und all die Leute?“ Oder haben wir das bloß erfunden?"
Maria lächelter ihn an und gab ihm einen Wink mit der Hand, der hieß: komm. Dann nahm sie seinen Kopf und führte ihn, bis sein linkes Ohr auf dem Körper des Kindes lag: „Hörst du es?" fragte sie. „Ja, es schlägt, poch, poch, poch, schnell und kräftig - der Junge jedenfalls lebt". „Ja er lebt, er ist da! Er ist zur Welt gekommen. Was macht es da schon, ob all das andere der letzten Nacht nun wirklich war oder nicht. Aber wenn du's unbedingt wissen willst, dann geh' und such die Spuren dieser Heiigen Nacht".
„ Das habe ich schon", antwortete Josef, „sie haben viel Dreck hinterlassen. Ich muß den Stall ausfegen. Und das hier habe ich auch noch gefunden: Riecht nach Weihrauch, könnte Myrrhe sein. Was sollen wir damit? Tauschen wir’s um gegen was Brauchbares". „Nein", entgegnete Maria, „heben wir's auf für bessere Zeiten. Für's erste reichen uns die Goldstücke.“.
„Was meinst du, Maria, werden sie wiederkommen?", fragte Josef. Maria legte ihm den Knaben in den Arm: „Nimm mal, das Kind muß frisch gewickelt werden.“
„Riecht nicht gerade nach Weihrauch“ bemerkte Josef. „Ja, alles Natur“, sagt Maria. Das Kind unterliegt den gleichen Gesetzen wie alle Säuglinge. Es schreit, hat Hunger und macht die Hosen voll. Also bitte, lieber Joseph, frische Windeln für den Herrn der Welt."
Als sie sich die Bescherung ansehen treffen sich ihre Blicke und sie beginnen laut zu lachen. Es ist das erste Mal seit ach wie langer Zeit, daß wieder ein fröhliches, unbeschwertes Lachen über ihre Lippen kommt.
Es ist noch immer noch die gleiche Welt wie vorher, in der sie zu leben haben. Es gelten noch die gleichen Gesetze. Die Wölfe freßen immer noch die Schafe, Soldatenstiefel gehen über Leichen, Säuglinge machen die Windeln voll, und ein Stall stinkt wie ein Stall.
Auch das Gotteshaus, das dieser Stall in dieser einen Nacht für sie geworden war, ist so voll oder so leer wie eh und je.
Und doch ist seit dieser Nacht nun alles anders. Es ist der Gedanke, daß diesem Kind nun alle Engel dienen, der sie beflügelte. Dieses Kind, das ihnen anvertraut ist, wird groß werden, erwachsen werden und zum Licht in manch dunkler Nacht.
Was sie in dieser furchtbaren, aber am Ende doch so heiligen Nacht erlebt haben - sie bewegen es im Herzen und mit großer Fröhlichkeit. Mit einem Blick für das Unsichtbare meisterten sie die widrigen Umstände.
Sie kehren zurück nach Galiäa in ihre Stadt Nazaret, so wie die Hirten wieder auf ihr Feld, die Engel in den Himmel und die Weisen ins Morgenland. Alles läuft wieder nach altem Gesetz. Die Erde, das Universum läuft weiter nach den Naturgesetzen.
Das Kind aber wächs und wird stark da mittendrin. Es macht nichts, daß die Massen nicht bei ihm ein und ausgehen. Es ist nicht schlimm, daß die Weisen nie wieder auftauchten. Ihre Weisheit haben sie ihm in die Krippe gelegt. Auch wenn die Engel nicht an allen Tagen so sichtbar vom Himmel kommen wie in dieser einen Nacht: Die Gnade Gottes ist bei ihm. Unscheinbar und nur von denen beachtet, die um sein Geheimnis wissen, wächst der König der Könige, der Christus heran.
Unscheinbar, oft unbeachtet: So ist er auch heute unter uns. Er bringt das Licht, den Glanz, die Pracht und die Herrlichkeit der Weihnacht in unsere Wirklichkeit hinein.
Im Psalm 126 heißt es: so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen. Der HERR hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.
Fröhliche Weihnachten also - auch und gerade am Tag nach dieser traumhafte Nacht.