Predigt Hebräer 10, 19 -25
Allein aus Gnade, allein aus Glauben, allein die Schrift
Einführung Kirchenvorstand 2013
Pfr. Helmut Müller
Hebr. 10, 19 - 25
Liebe Schwestern und Brüder, wir haben nun durch das Blut Jesu die Freiheit zum Eintritt in das Heiligtum. Er hat uns einen neuen und lebendigen Weg zur Himmelstür geöffnet, dadurch dass er Mensch war mit Leib und Seele. Haben wir nun einen solchen großen Hohenpriester u. Heiligen im Haus Gottes, dann laßt uns eintreten mit offenem Herzen und zuversichtlichem Glauben, die Seele wieder rein und befreit von dem schlechten Gewissen, den Leib gewaschen mit klarem Wasser.
Laßt uns am Bekenntnis der Hoffnung festhalten und nicht wanken; denn Gott ist treu, der uns die Verheißung gegeben hat.
Laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken. Verlasst unsere Versammlungen nicht wie einige zu tun pflegen, sondern ermahnt einander
Werft euer Vertrauen nicht weg, denn es wartet großer Lohn auf euch. Aber Geduld braucht ihr, um Gottes Willen zu tun, bis ihr das Verheißene erlangt.
Liebe Gemeinde, liebe Kirchenvorsteher,
Ich könnte jetzt beginnen, die großen Erfolge der vergangenen sechs Jahre zu preisen. Ich könnte erzählen von den Gemeindegruppen, die weit ins Umland hinein ausstrahlen und Besucher anziehen, dem großen Adventsbasar in Mittelbuchen ,vom Ruhm des Weltbühnchens, das jetzt gerade in Wachenbuchen spielt, vom Gesang der Kirchenmäuse im großen Jubiläumskonzert, von der großen Zahl der Kinder bei den Kinderwochen und im Krippenspiel, von im Jahresdurchschnitt gut besuchten Versammlungen. Von den großen Bauten an Kirche oder Gemeindehaus. Der guten Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Gemeinde gerade hier in Mittelbuchen.
Ich könnte davon erzählen wie sehr Menschen sich daher auch mit ihrer Kirche identifizieren. Wir hatten die meisten Kandidaten für den Kirchenvorstand im Kirchenkreis und die mit Abstand höchste Wahlbeteiligung in Mittelbuchen und in Wachenbuchen und dann auch der Summe.
Und ich könnte eine lange Dankesrede anschließen für viele gute Werke vieler guter Kirchenvorsteher.
Der Kirchenvorstand, den wir verabschieden, hat seine Arbeit geleistet und mancher dazu, der in den Unterausschüssen tätig war. Dafür ist zu danken.
Wenn ich das dennoch nur in indirekter Form tue, dann weil es mit den guten Werken so ist, wie mit den Blumen, die wir bisweilen zum Dank erhaltet. Sie blühen wunderschön, sind herrlich anzusehen und man kann sich dran freuen, aber sie verwelken auch nach ein paar Tagen. Sie sind nämlich von der Wurzel abgeschnitten und ebendeswegen auch bei guter Pflege bald nur noch ein Fall für die Biotonne oder den Kompost.
Weil dergleichen nun aber nicht nur den Blumen droht, sondern auch uns Menschen - dass unser Leben lange vor seinem Ende schon endet, dass wir uns selbst von der Wurzel abschneiden und dann wundern, warum die schöne Blume so schnell verwelkt, vielleicht sogar fault und stinkt - weil dergleichen auch uns droht, deswegen erinnert die Bibel an das Unsichtbare, die verborgenen Wurzeln unserer Kraft: An Glauben und Vertrauen, Hoffnung und Liebe. Sie ermutigt dazu, daran auch gegen alles Sichtbare festzuhalten: „Haltet fest am Bekenntnis der Hoffnung, werft euren Glauben nicht weg, habt Geduld.“
Die Wurzel ist wichtiger als die Blüte - daran erinnern wir. Die größte Gefahr für den Glauben sind seine Folgen: die guten und großen Werke, die er hervorbringt. Man kann sich nämlich in sie verlieben. Sie verleiten dazu, sie zu bewundern, stolz darauf zu werden und darüber zu vergessen, wo das alles herkommt. Damit hat man das Messer der Blume schon an den Stängel gelegt.
Die Folgen sind nicht sofort sichtbar. Die von der Wurzel abgeschnittene Blume blüht noch ein paar Tage wunderschön, vielleicht zusammen mit anderen sogar noch prächtiger als zuvor, doch ohne Wurzeln fehlt ihr die Nahrung. Über Nacht ist sie verwelkt und verduftet.
Ein anderes Beispiel: Wir können wunderschöne Bauwerke errichten, die weithin sichtbar sind und uns gleichzeitig die Seele ruinieren, so wie das schon vom Turmbau zu Babel berichtet wird: Man hat sich etwas großartiges aufgebaut, man will ein Stück Himmel haben, und dafür hat man jahrelang geschafft und geschuftet, aber am Ende versteht man sich nicht mehr und muss deprimiert auseinandergehen.
Wir haben die Gefahr kennengelernt. Und wir haben unser Bekenntnis der Hoffnung dagegengesetzt. Wir wollen das Vertrauen, das in den Jahren gewachsen ist, nicht wegwerfen, sondern auf dieses Vertrauen - auf sola fide - die zukünftige Arbeit bauen.
Das war nicht immer so in der Kirchengeschichte - eine Kirche allein auf Glauben und Vertrauen gebaut. Heute am Sonntag nach dem Reformationsfest erinnern wir auch eine Kirchentrennung.
Die Entstehungssituation der evangelischen Kirche ist das: In einer Zeit, in der die Kirchen voll waren mit prächtigen, frommen Werken, als die Türme der gotischen Kathedralen weit in den Himmel hinaufreichten, da verspüren die Menschen zugleich, dass man über all den prächtigen Bauwerken des Spätmittelalters den Kontakt zum Himmel verloren hatte. Man brauchte Geld, immer mehr Geld, um das prächtige noch prächtiger zu machen. Man brauchte gefügige Menschen, die mitmachten bei dem Projekt Petersdom, der größten Kirche der Welt. Menschen die ihre Lebenskraft, ihre Lebensleistung hergeben um sich ein bisschen Heil aus dem großen Gnadenschatz zu verdienen. Und dann muss auch die schräge Methode für den scheinbar guten Zweck noch herhalten. Eine zum Geldmachen war etwa die: Der Mensch ist böse, damals wie heute. Und er wäre doch so gerne gut. Dabei kann man ihn packen. Man kann das tierisch schlechte Gewissen noch ein bisschen schlechter machen und anschließend eine hübsche Summe verdienen, durch den Verkauf von Seelenbalsam gegen die Höllenangst.
"Ich bin so schlecht, wie bekomme ich elender Sünder einen gnädigen Gott?", fragt sich Martin Luther.
„Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ Er versucht es gutmittelalterlich zunächst mit Demut, indem er sich also unterordnet und sich sagen lässt, wo er sich denn ändern muss. Er versucht’s mit guten Werken, in der Hoffnung auf eine einigermaßen ausgeglichene Bilanz zu seinen Schandtaten und Sünden, begangen in Gedanken, Worten und Werken. Er versucht’s mit Selbstbestrafung, er peitscht sich aus, in der Hoffnung dass ihn Gott nicht mehr strafen muss, weil er das schon selber tut, und er wird doch das beängstigende Gefühl nicht los, dass es in der Grundbeziehung seines Lebens nicht stimmt.
„Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ so fragt heute kaum noch einer. Dafür gibt es genügend, die fragen: „Wie bekomme ich eine gnädige Frau?“ „Wie bekomme ich einen gnädigen Mann?“ - spätestens, wenn’s in der Beziehung kriselt. Sie versuchen es mit guten Werken, als sei die Liebe etwas Käufliches. Sie demütigen sich und demütigen den anderen, als werde man groß, wenn man einander klein macht. Sie versuchen es mit Rezepten und Ratgeber, als gewönne man eine klare Linie wenn man die verschiedensten Ratschläge durchprobiert.
"Sola gratia, sola fide, sola scriptura, - allein aus Gnade, allein aus Glauben, allein die Schrift" hat Martin Luther nach Jahren des Ringens die drei Stufen zum Himmel und das Heilmittel für gestörte Beziehungen wiederentdeckt - in einem historischen Erlebnis an einem stillen Örtchen. Ich weiß nicht ob er das auch mit einen kräftigen Furz tat, wie er das später für deprimierte Seelen empfahl, aber es war allemal etwas Befreiendes: Du kannst so zu Gott kommen, wie du bist. Gerade so bist du ihm recht, auch wenn’s bei dir noch stinkt.
Es ist gut am Beginn einer neuen Kirchenvorstandperiode an jene drei Grundlagen zu erinnern. Ich verbinde damit auch jeweils einen Wunsch an den neuen Kirchenvorstand und alle, die in seinen Ausschüssen mitarbeiten.
1. Allein aus Gnade
Ich weiß, dass mancher Kirchenvorstandskandidat sich fragte, ob er denn auch den Ansprüchen an Heiligkeit genügt. Solche Ansprüche an ein erhöhtes Maß an Heiligkeit gibt es ja durchaus. Die Gemeindeglieder erwarten, dass die Kirchenvorsteher moralisch ein bisschen besser sind als die anderen, die Kirchenvorstehen wiederum erwarten, dass die Pfarrer doch etwas mehr als eine nur durchschnittliche Moral zeigen und die wiederum erwarten, dass der Bischof ein leuchtendes Vorbild ist.
Aber das sind jeweils Erwartungen von Menschen. Manchmal können die auch eine große Last sein, weil sie zur Fassadenmalerei verführen, weil die Ehrlichkeit flöten geht und der typische Pharisäer herauskommt: Sieht gut aus, hat aber ein paar Leichen im Keller.
Doch wir verdienen als Gemeinde nichts dabei, wenn wir aus dem Kirchenvorstand eine Heiligenversammlung von besseren Menschen machen wollten, die überdurchschnittlich viele gute Werke tun.
Das Leben gibt’s nur gratis, auch das Gemeindeleben. Es lässt sich nicht machen, auch nicht mit noch soviel Engagement. Wir können nur singen und einladen: Veni sanctus spiritus, komm heiliger Geist. Komm Geist der Liebe. o komm, du Geist der Wahrheit. Und der kommt wann und wo er will. Wer ihn herbeizwingen will, vertreibt ihn garantiert.
Viel Gelassenheit und Geduld wird also zu eurem Amt gehören, liebe Kirchenvorsteher. Aber dann auch - wenn er da ist, der Geist - dann auch in Geistesgegenwart mit Feuer- und Flamme dabei sein, die Räume weit öffnen. Macht hoch die Tür des Gemeindehauses, das Tor der Kirche macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit. Wenn er da ist - Gottes Geist - dann lohnt sich auch die viele Mühe und Arbeit für ein: Gelobt sei Gott; mit Orgel, Kirchenchor und allerlei Theater. Der Herr des Lebens lädt ein zum Gratisessen. Lasst euch das Leben schmecken. Die Himmelstür ist offen. Uns ist eine unwahrscheinliche Freiheit geschenkt: Wir haben durch das Blut Jesu die Freiheit zum Eintritt in das Zentrum des Lebens. Er hat uns einen neuen und lebendigen Weg zur Himmelstür geöffnet, dadurch dass er Mensch war mit Leib und Seele. Alles was wir brauchen, um in den Himmel zu kommen ist, einfach Mensch zu sein mit Leib und Seele.
Der Eintrittspreis ist bezahlt, die Schuld ist beglichen, die Sünde vergeben, der Himmel ist offen. Alles was bleibt ist, wie ein Kind an Weihnachten bloß Danke sagen für die Geschenke des Christkindes. Die gibt es gratis - und das nicht nur für brave Kinder.
Mein erster Wunsch für den Kirchenvorstand ist: Dass wir Menschen haben, die sich freuen können, wie ein Kind zu Weihnachten.
2. Allein aus Glauben
Die Kraft des Glaubens zeigt sich in den Leidenszeiten. Sie hilft über neblige Novembertage hinweg, wo man keine Sonne sieht und nichts von Gottes Liebe. Der Glaube hilft und heilt, wo es das Schicksal nicht gerade gut mit uns meint, oder wir uns auch durch eigene Dummheit auseinanderdividiert haben. „Es ist der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft und ein Nichtzweifeln an dem was man nicht sieht“, spricht der Hebräerbrief. Er bietet eine lange Liste von Zeugen auf gegen die Verzweiflung: Menschenschicksale der Bibel, von Abel, dem Mordopfer bis zur Hure Rahab.
Werft diesen Glauben nicht weg. Werft euer Vertrauen nicht weg, denn es wartet großer Lohn auf euch. Der Glaube ist für die Blume, die Kraft den Winter zu überstehen, um im nächsten Jahr wieder neu und größer und schöner zu blühen. Er erschließt uns Krisen als Chancen zum Leben. Er ist die Ruhe im Sturm, er sieht die Welt, „die unsichtbar sich um uns weitet“. Er trägt im Leben und er trägt im Sterben zu neuem Leben.
Mein zweiter Wunsch an den Kirchenvorstand: Dass wir Menschen haben mit Krisenerfahrung, Menschen, die das Leid kennen und weinen können, wie Petrus an Karfreitag.
3. Allein die Schrift.
Wir leben in einer Zeit, in der es uns nicht an Wissen und Information mangelt. Die Buchläden sind voll von Ratgebern für alle Lebenslagen. Heerscharen von Therapeuten versuchen uns mit Pillen und Psychotherapien wieder hinzukriegen und noch zu verbessern. Selbsternannte Päpste verkünden ihre letzten Wahrheiten. Aber am Ende wissen viele gar nicht mehr, was sie nun glauben sollen und können. Sie sprechen mit Goethes Faust: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. „
Allein die heilige Schrift! Die ist zunächst auch ein Panoptikum von Erfahrungen und Meinungen zu Gott und der Welt. Vielfältig und widersprüchlich wie das Leben selbst ist sie. Indem Luther sie ins Deutsche übersetzte und gleichzeitig zur Gründung von Volksschulen aufrief, gibt er sie jedermann an die Hand. Er mutet uns zu, selber zu denken in den Widersprüchen des Lebens. Kein großer Führer sagt, was wahr ist, sondern jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, wird nun sein eigener Papst. Er kann und soll sich selber seine Meinung bilden aus den Quellen. Zur Freiheit des Christen gehört die Fähigkeit zum genauen Hinhören, zum kritischen Denken und zum Unterscheiden der Geister. In der Mitte der Schrift steht dabei der einzige Hohepriester oder Papst, den die evangelische Kirche anerkennt: „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“So sagt das die Barmer theologische Erklärung, das Bekenntnis des 20. Jahrhunderts und erinnert daran, dass hinter "sola scripture - allein die Schrift" ein "solus christus" steht - allein Jesus Christus.
Mit diesem Bekenntnis der Hoffnung haben Christen im vergangenen Jahrhundert der Hitlerdiktatur wiederstanden. „Jesus Christus, gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit“, das gibt der Hebräerbrief all denen mit auf den Weg, welche die zukünftige Stadt suchen. Jesus Christus - die Menschlichkeit Gottes ist der Maßstab.
Mein dritter Wunsch also an den Kirchenvorstand: Menschen die lesen und schreiben können, hinhören, denken und unterscheiden, mit menschlichem Maßstab, geistreiche Menschen wie zu Pfingsten.
Wenn die drei Wünsche nun in Erfüllung gehen und wir einen entsprechenden Kirchenvorstand haben, was soll er dann tun? Drei Punkte nennt der Hebräerbrief:
1. „Lasst uns auf einander achthaben.“ Das Geschenk des Lebens ist so einmalig, das wir achtsam damit umgehen sollen. Sorge für Leib und Seele ist unsere Aufgabe. Seelsorge also einerseits und die Gymnastikgruppe und gutes Essen für den Leib andererseits.
2. „Lasst uns einander anreizen zur Liebe und guten Werken.“ Im Leid bewährt sich der Glaube, aber das Leid ist kein Selbstzweck. Gute Werke tun heißt, das Leid zu vermindern und die Lust zu vermehren. Diakonie also einerseits und gute Feiern, die Lust und Liebe wecken andererseits.
3. „Verlasst die Versammlungen nicht.“ Die Bibel ist ein plurales Buch. Gegensätze sind in ihr zusammengebunden. Wir folgen dem, wenn wir die Vielfältigkeit und Gegensätzlichkeit in einer Gemeinde aus- und zusammenhalten. Zusammenstehen im Abendmahl also einerseits und eine Beicht- und Bußpraxis, die den Sünder wieder aufrichtet anderseits.
Dafür empfangt ihr den Segen aus dem Schluss des Hebräerbriefes: Der Gott des Friedens, mache euch tüchtig in allem Guten zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen