Milieuübergreifender Gottesdienst (2013) - kloster-hachborn.de

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Predigt zur Kirchweih 2013 - Lukas 7,36 - 8,3  Milieuübergreifende Gemeinschaft

Liebe Festgemeinde

Schön dass Sie da sind, zur 552. Kerb am 12. Sonntag nach Pfingsten. Kirchweih, das ist das pfingstliche Hochfest für einen Ort. Sie liegt fast immer zwischen Pfingsten und dem Ende des Kirchenjahres.  Die Kerb hier  - inzwischen ist es längst nicht mehr nur die Wachenbücher Kerb. Es ist auch das größte Maintaler Volksfest und schon traditionell auch mit entsprechender Beteiligung von Mittelbuchen. Wie es sich für ein Pfingstfest gehört, sind auch viele Ausländer dabei – also Menschen, die weder in Maintal noch in Hanau wohnen, die aber durch die Kraft der Kultur hier längst heimisch geworden sind. Im Blasorchester machen sie die Musik, in den Chören singen sie und mancher steht auch hinter der Theke zur Speisung der 5000. Evangelisch, katholisch oder säkular tritt in den Hintergrund. Selbst die Muslime, die ihre Feste nach dem Mond ausrichten, könnten in diesem Jahr mitfeiern. Wir Christen feiern ja Weihnachten, wenn die Sonne am Tage wieder länger sichtbar wird und die Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan wenn die Sichel des Mondes wieder zunimmt
Das ist also gerade gerade jetzt und damit in diesem Jahr pünktlich zur Kerb.  Die ist nach dem Sonnenkalender immer am 2. Wochenende im August.
Wenn der Geist weht hört ein jeder hier wie in der Pfingstgeschichte etwas von den großen Taten Gottes in seiner Muttersprache. Manche oder Mancher begegnet ih vielleicht sogar in der Sektbar und feiert demnächst auf der Hochzeit die großen Taten der Liebe. Doch davon mehr bei den Abkündigungen.
Dass wir dieses Jahr hier wieder versammelt sind, dafür danken wir heute Gott im Himmel und dem Blasorchester Wachenbuchen auf Erden, dem Ruthschen Doppelquartett in Eintracht mit Mittelbuchen und der Gesangverein Vorwärts ist heute Morgen auch noch dabei.  
Kerb, Kirchweih, das  Kirchengebäude symbolisiert: Wir sind hier nicht bloss irgendeine Schlafstadt, ein Ort also, wo man zwar Bett und Küche hat, aber das Leben vollzieht sich woanders. Nein - hier gibt es Kultur und Feste und Feiern. Hier können Kinder groß werden und Alte ihre letzte Ruhe finden.  Dafür fährt mancher gar kilometerweit, weil zwar nicht hier wohnt aber doch hier heimisch ist.
Dafür sagen und singen wir: Gott sei Lob und Dank.

Lied: EG 331 Großer Gott, wir loben dich ...
….
Evangelium (nach NGÜ)

Kirche, das ist nicht nur ein Gebäude, Kirche, das ist auch eine Lese- und Erzählgemeinschaft. Die zentralen Geschichten sind über die Jahrtausende immer wieder weiter erzählt worden. Ausgeweitet zu Romanen, Filmen und Theaterstücken haben sie Menschen in der Tiefe berührt. Das Evangelium für diesen Sonntag steht in Lukas 7, 36- 50 und ist Motivgeber für viele ähnlich gelagerte Geschichten christlicher Erzähltradition.

Der Pharisäer und die Sünderin vor Jesus

36 Ein Pharisäer hatte Jesus zu sich zum Essen eingeladen, und Jesus war gekommen und hatte am Tisch Platz genommen.
37 In jener Stadt lebte eine Frau, die für ihren unmoralischen Lebenswandel bekannt war. Als sie erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers zu Gast war, nahm sie ein Alabastergefäß voll Salböl und ging dorthin.
38 Sie trat von hinten an das Fußende des Polsters, auf dem Jesus Platz genommen hatte, und brach in Weinen aus; dabei fielen ihre Tränen auf seine Füße. Da trocknete sie ihm die Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.
39 Als der Pharisäer, der Jesus eingeladen hatte, das sah, dachte er: »Wenn dieser Mann wirklich ein Prophet wäre, würde er die Frau kennen, von der er sich da berühren lässt; er wüsste, was für eine sündige Person das ist.«
40 Da wandte sich Jesus zu ihm. »Simon«, sagte er, »ich habe dir etwas zu sagen.« Simon erwiderte: »Meister, bitte sprich!« -
41 »Zwei Männer hatten Schulden bei einem Geldverleiher«, begann Jesus. »Der eine schuldete ihm fünfhundert Denare, der andere fünfzig.
42 Keiner der beiden konnte seine Schulden zurückzahlen. Da erließ er sie ihnen. Was meinst du: Welcher von den beiden wird ihm gegenüber wohl größere Dankbarkeit empfinden?«
43 Simon antwortete: »Ich nehme an, der, dem er die größere Schuld erlassen hat.« – »Richtig«, erwiderte Jesus.
44 Dann wies er auf die Frau und sagte zu Simon: »Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen, und du hast mir kein Wasser für meine Füße gereicht; sie aber hat meine Füße mit ihren Tränen benetzt und mit ihrem Haar getrocknet.
45 Du hast mir keinen Kuss zur Begrüßung gegeben; sie aber hat, seit ich hier bin, nicht aufgehört, meine Füße zu küssen.
46 Du hast meinen Kopf nicht einmal mit gewöhnlichem Öl gesalbt, sie aber hat meine Füße mit kostbarem Salböl gesalbt.
47 Ich kann dir sagen, woher das kommt. Ihre vielen Sünden sind ihr vergeben worden, denn sie hat mir viel Liebe erwiesen. Wem aber wenig vergeben wird, der liebt auch wenig.«
48 Und zu der Frau sagte Jesus: »Deine Sünden sind dir vergeben.«
49 Die anderen Gäste fragten sich: »Wer ist dieser Mann, der sogar Sünden vergibt?«
50 Jesus aber sagte zu der Frau: »Dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!«
8 1 In der nun folgenden Zeit zog Jesus von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Überall verkündete er die Botschaft vom Reich Gottes. Dabei begleiteten ihn die Zwölf
2 sowie einige Frauen, die von bösen Geistern und von Krankheiten ´geplagt gewesen waren und` durch ihn Heilung gefunden hatten: Maria aus Magdala, aus der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte,
3 Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, sowie Susanna und viele andere. Alle diese dienten Jesus und seinen Jüngern mit dem, was sie besaßen.

Predigt

Liebe Festgemeinde,

Das also ist Kirche und Gottesdienst. Eine Milieuübergreifende Gemeinschaft von Männern und Frauen, in der einer dem anderen dient, so wie es am Schluss des Evangeliums erzählt wird: „Alle diese dienten Jesus und seinen Jüngern mit dem, was sie besaßen.“
Gott dienen, dazu also sind wir hier. Die Sänger und Sängerinnen mit ihren Stimmen, die Musiker hinter mir, sie da unten mit dem Gemeindegesang. Wer stumm ist, kann sich noch hinter der Theke betätigen oder einfach an der Kollekte beteiligen. Sie alle machen das jetzt für einen Gotteslohn. Für ein Danke, ein großes Danke und ein „Gott segne dich“.
Nur bei mir als Pfarrer ist das anders. Mein Gottesdienst kommt eigentlich erst morgen. Zum Frühschoppen stehe ich dann hinter der Theke. Für den Dienst jetzt werde ich ja bezahlt -  auch dafür einen schönen Dank allen evangelischen  Kirchensteuernzahlern. Doch wenn man dafür bezahlt wird ist es höchsten ein halber Gottesdienst. Aber morgen früh - da krieg‘ ich keinen Cent und keinen Euro dafür. Das steht auch in keiner Dienstanweisung für Pfarrer. „Bierzapfen zum Frühschoppen“, sondern das mache ich für einen Gotteslohn, ein „Bitte“ und „Danke“ und „gern geschehen“. Aber  auch um eine ansonsten wenig geforderte Begabung mal ausleben zu können: die Kunst 5000 Biergläser in 3 Stunden zu zapfen.
„Niemand aber dient Gott, denn wer ihn lässet seinen Gott sein und seine Werke in ihm wirken“ sagt Martin Luther. Gottesdienst, das ist das, wonach es dich innerlich drängt und was du dann auch nach außen gibt’s zum Dienst für viele oder für alle. Das kann der Gesang heute morgen sein, oder auch so was ganz praktisches wie Zeltausfegen oder der Dienst hinter der Theke.
Mit Schmunzeln gefreut habe ich mich jedenfalls als vor Jahr und Tag jemand Werbung für den Kerbmontag machte mit dem Hinweis: hier wird jedes zweite Glas Bier mit dem Segen des Pfarrers ausgeschenkt.
Dabei wollte man mich beim ersten Mal nur an Cola und Limo lassen, wohl eingedenk dessen, dass Generationen von Pfarrern gegen den übermäßigen Bierkonsum an der Kerb angepredigt und Askese gefordert hatten.
Es hat ja auch seine Berechtigung, auf die Gefahr  des Alkohols  hinzuweisen. Von manchem guten Freund weiß ich, dass er heillos untergegangen wäre, wenn ihn nicht rechtzeitig der richtige Engel diszipliniert hätte.
Auch auf der Kerb sind Scouts unterwegs, um an die Verantwortung für die Jugend zu erinnern. Ob es nun der Pfarrer macht, oder die Heilsarmee oder die Scouts der Drogenberatung - auch das ist ein wichtiger Dienst. Die Eltern bitten wir dabei um Unterstützung: Schauen sie genau, in welchem Zustand ihr Kind nach Hause kommt. Setzen sie, wo nötig, rechtzeitig Grenzen.
Man muss nicht gleich komplett zum Asket werden, wie Johannes der Täufer, manchmal reicht es auch für einen Tag ein Zeichen zu setzten, wie unser Bürgermeister beim Bieranstich ohne Bier auf dem Straßenfest.

Zum christlichen Abendmahl gehört auch der Alkohol, aber so dass wir dabei  den guten Umgang mit den Dingen lernen. Wir können als Meister über den Dingen Verantwortung übernehmen für  jene, die noch in der Lehre sind. Das ist Gottesdienst. Ein Dienst um der Liebe willen, auch wenn du als Lohn manchmal noch Prügel bekommst. Aber du darfst wissen: da ist eine himmlische Macht, die sieht was dich im Inneren bewegt. Entscheidend ist am Ende dann doch nur das Urteil des letzten Richters.
Gottesdienst, das ist Dienst füreinander ohne zu fragen was es bringt und ob es lohnt, aber mit offenen Ohren, sehenden Augen und helfenden Händen für den Nächsten

Gottesdienst, das ist also nicht, wenn einer von oben herabverkündet was Gott angeblich will - und mancher meint mit „Gott dabei nur sich selber -, aber Gottesdienst, das ist es wenn wir uns in einer Lerngemeinschaft miteinander auf den Weg machen, um  hier etwas zu gestalten, weit über den Kirchturm hinaus.

Ich lerne da auch immer wieder von meinen Konfirmanden: Zur letzten Konfirmandenstunde habe ich sie befragt zu Gottesdienst du Unterricht. „Wir wollen was praktisches machen“,  haben sie geschrieben. Einige haben das auch gleich umgesetzt. Die Mitarbeit bei der Kinderwoche etwa, vierzehn Tage der Sommerferien geopfert. Aber es war ein gutes, sinnvolles und Gott wohlgefälliges Opfer.
Andere sagten : „Wir machen noch was im Jugendraum: Wir zeigen einen Film. Und sie luden auch andere Jugendliche dazu ein.
Aber auch das gab es: Eine Lesung am Sonntagmorgen, Kerzen anzünden, Kollekte sammeln - je nach Begabung.
Da sind so viele Gaben und Begabung mit denen wir einander dienen könnten.
Könnten, ja könnten, wäre da nicht noch ein Problem: Wir Menschen haben nicht nur unterschiedliche Begabungen, wir sind auch verschieden, gehören unterschiedlichen Milieus an,  haben verschieden Moral- und Wertvorstellungen.
Das macht es manchmal schwierig in einer Feier zu einem Fest zusammen zu kommen.

Ausgerechnet in der Kirche bleibt man heute weitgehend unter sich, bescheinigen uns die Religionssoziologen. Von der hochgradigen Milieuverengung des klassischen Sonntagsgottesdienstes sprechen sie.
Ich schätze diese kleine Schar durchaus. Sie hat ihren Charme und sie hat einen Auftrag: Etwa, dass da Menschen sind, die gerne Lieder zum Lobe Gottes singen, dann wenn eine bunt gemischte Taufgesellschaft am Sonntagmorgen erscheint, diese durch den eigenen kräftigen Gesang zum Mitsingen animiert – begeistert. Das ist auch Kirche, aber es ist nicht alles. Auch dorthin, zu den besonders Religiösen, lässt der Herr Jesus sich einladen. Wir können ihm dort begegnen, aber wenn er kommt, so wie zu dem Pharisäer im Evangelium, dann kommt es auch zu unverhofften Begegnungen. Da werden Milieugrenzen gesprengt. Etwa mit der Frau aus einschlägigem Milieu.
Da wird klar, dass Jesus sich nicht nur unter Pharisäern bewegt – und die waren damals besser als ihr Ruf heute -  sondern er ist auch unter den anderen. Er ist nicht nur religiös ist, sondern auch ganz weltlich.
Kerb, Kirchweih, das ist nicht nur am Sonntagmorgen, das ist das ganze Fest von Freitagabend bis Dienstagmorgen. Und mancher leistet seinen besonderen Gottesdienst noch darüber hinaus, wenn er seine Zeit auch in der Woche danach opfert, um hier wieder alles abzubauen.
Wer mal eine Kerb organisiert hat weiß: Rechnen tut sich das alles nicht. Wenn hier jeder Dienst nach Tariflohn bezahlt werden müsste, dann gäbe es die Kerb nicht. Dieser Dienst hier, das ist ein Opfer für die Gemeinschaft in Sport und Kultur. Ein Opfer für Gott.

Und dann geschieht auch das andere: Dass Gott uns dient. Dass Gott nun sich opfert für uns. Das uns die Gemeinschaft hält und trägt in den schweren Zeiten. Dass wir eine Liebe erfahren, die so gar nicht zu erhoffen war.
Unser Leben ist nicht nur ein Fest. Unser zentrales Bild ist nicht der ewig strahlende Held. Es ist das Kreuz, der Gekreuzigte.
Zum Leben gehört auch die andere Erfahrung: Krankheit und Leid, Schmerz und elendes Dahinsiechen. Wer geht da mit uns? Was hält und trägt, wen sonst nichts mehr hält?
Wir denken jetzt auch an all jene, die so selbstverständlich hier dazu gehörten, die Musik gemacht haben, aber in diesen Tagen im Krankenhaus liegen. Manchen, der all die Jahre da unten auf den Bänken saß, haben wir zu Grabe getragen.
Wir rufen auch zum Himmel wie Jesus am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum? Warum hast du mich verlassen? Wo ist die Kraft hin? Wer hilft? wer rettet?
Bei Jesus gibt es eine Antwort, die hören wir immer wieder. Wir haben sie auch im heutigen Evangelium gehört:
»Dein Glaube hat dich gerettet. Dein Glauben hat dir geholfen. Geh in Frieden!«  Er sagt nicht: Der jüdische Glaube, auch nicht der christliche Glaube oder der islamische Glaube. Er sagt: Dein Glaube -  das, was du ganz persönlich in der Tiefe deines Herzens glaubst.
Glauben, Lieben, Hoffen, das ist alles was uns am Ende bleibt, aber es bleibt auch. So steht über dem Ende des Lebens noch das Evangelium: Geh hin in Frieden! Diese eher ruhige Stunde auf der Kerb ist auch die Zeit, uns darauf zu besinnen.
Doch bevor Sie in Frieden gehen, wünsche ich Ihnen, dass die Musik noch ein bisschen spielt, wir noch ein Lied miteinander singen, Kerb feiern. So Gott will möge er uns auch noch die eine oder andere Zugabe genehmigen und uns seinen Segen geben, die Kraft zum Leben in Glück und Unglück.

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